Das Judentum in Eisenstadt
Die frühesten, allerdings ungesicherten Hinweise für eine jüdische Ansiedlung in Eisenstadt stammen aus einer Urkunde aus dem Jahre 1296, in der Ladislaus, Sohn des Nikolaus Gutkeled, den Söhnen des Ebro, genannt Mendel, aus St. Margarethen, neben 4 ½ Lehen in St. Margarethen auch ein Lehen mit Wald in Eisenstadt nach "österreichischem Recht" überliess. Mendels Söhne bekamen volles Nutzungsrecht.
Mit dem königlichem Privileg des Marktrechts ausgestattet, wurde 1388 dem Herrn von Hornstein, Johannes Kanizsai, Erzbischof von Gran, erlaubt, jüdische Familien in Eisenstadt anzusiedeln.
In der Folgezeit diente der Ort mehrfach als Zufluchtsstätte vertriebener Juden aus den angrenzenden Regionen; in diesem Zusammenhang nahm der Schutzherr meist eine pro-jüdische Position ein, die ihm finanzielle Vorteile einbrachte.
Ein erstes Ghetto im Schlossgrund bildete sich in Eisenstadt während des 16. Jahrhunderts unter dem Pfandherrn Johann von Weispriach (1547-1571) heraus. Es befand sich zwischen demoberen Bereich der Hauptstrasse, der Klostergasse (heute obere Haydngasse) und der Nonnen Gasse (heute Josef-Weigl-Gasse).
Das 1. Judenviertel ist hier gelb markiert Quelle: H. Prickler, Österreichischer Städteatlas, Band Eisenstadt |
Quelle: Fotosammlung Margarete Kohs |
Quelle: Geneall |
Quelle: H. Prickler, Österreichischer Städteatlas, Band Eisenstadt |
Blick von der Esterhazystrasse in die heutige Wertheimergasse Quelle: Koschere Melange |
Quelle: Fotosammlung Margarete Kohs |
Eingangstor älterer jüdischer Friedhof Eisenstadt, ca. 1920 Quelle: Koschere Melange |
Quelle: Koschere Melange |
Quelle: Koschere Melange |
Quelle: Koschere Melange |
Quelle: Koschere Melange |
Samson Wertheimer (17.1.1658-6.8.1724) Quelle: Wikipedia |
Quelle: Fotosammlung Margarete Kohs |
Quelle: Fotosammlung Margarete Kohs |
Quelle: Fotosammlung Margarete Kohs |
heutige Wertheimergasse |
Judengasse oberhalb der Synagoge |
Im Gefolge des Zusammenbruchs der Donaumonarchie und der Abtretung des ungarischen Burgenlandes an Österreich (1921) verlagerte sich in Eisenstadt der Siedlungsschwerpunkt der Juden von der Judengasse in die Hauptstraße und an den Hauptplatz, wo sie nun ihre Geschäfte einrichteten; auch bezogen sie Wohnungen außerhalb des ehemaligen Ghettobezirks.
Professor Meir Ayali (1913 - 2001), der im Wertheimer-Haus aufwuchs, beschrieb 1988 das Judenviertel so:
„Insgesamt standen 31 Häuser in der Judengasse, die sich wie ein umgekehrtes Dalet (ד = vierter Buchstabe im hebräischen Alphabet) erstreckte: beginnend bei den beiden Säulen mit der Kette im Osten bis zu den Häusern im Westen, die an das Spital der Barmherzigen Brüder grenzten und von hier verlief sie in Richtung Norden bis zum Tor des alten Friedhofs. An der Südwestecke, beim Ausgang auf die Straße, befand sich ein Gittertor, das, ähnlich den dicken und schweren Eisenketten im Osten, auch an den Abenden vor Schabbattagen und Festen bis zum Ausgang des Schabbats bzw. des Festes für jeglichen Fahrzeugverkehr geschlossen wurde. Wie in früheren Jahren war in den Tagen meiner Kindheit und Jugend die autonome Gemeindestruktur der Gasse mit dem Namen Unterberg-Eisenstadt noch beibehalten und wir hatten einen eigenen Bürgermeister.
31 Häuser: auf dem Tor eines jeden war eine kleine Tafel aus Holz oder Blech angebracht, auf die der Schames (Synagogendiener) zweimal am Tag dreimal schlug ‒ ta, ta, ta ‒ um bekannt zu geben, dass die Zeit des Morgen-, Mittag- oder Abendgebetes gekommen ist. Mit großer Pünktlichkeit, fünf Minuten vor dem Beginn des Gebetes in der Synagoge, schlug Herr Feldmann mit einem dicken Holzhammer auf das Tor Nr. 1, das Haus des Gabriel, das neben der Kette stand, und beendete binnen fünf Minuten die Runde beim Haus Nr. 31, das gegenüber (vom Haus Nr. 1), ebenfalls neben der Kette, war.
Die Häuser der Gasse waren klein, die meisten von ihnen einstöckig, einfach und bescheiden; aber einige waren in ihrem Stil sehr pittoresk, und die Maler malten besonders gern das letzte Haus im oberen Teil der Oberen Gasse, links vom Tor des Friedhofes. Auf den Türstürzen einiger Häuser waren Krugformen ziseliert, um zu kennzeichnen, dass ihre Besitzer Leviten waren, die beim Gottesdienst die Handflächen der Priester wuschen, bevor diese auf das Podium stiegen, um das Volk zu segnen. Es scheint mir, dass Reliefs wie diese noch auf den Toren von zwei Häusern erhalten sind.“
Professor Meir Ayali Quelle: Koschere Melange |
Unter den ersten burgenländischen Verhafteten befanden sich etliche jüdische Mitbürger. Unter den ersten 151 Personen des 1. Dachau-Transportes befanden sich bereits 63 Juden.
Bereits Ende März 1938 bekundete der kurzzeitige Gauleiter des Burgenlandes, Tobias Portschy, die Absicht, die „Agrarrefom, die Zigeunerfrage und die Judenfrage mit nationalsozialistischer Konsequenz zu lösen.“
Dr. Tobias Portschy am 11.3.1938 vor dem Landhaus Quelle: Fotosammlung Margarete Kohs |
Am Beginn der gezielten Terror- und Verfolgungsmaßnahmen stand die Erfassung der jüdischen Bevölkerung, und vor allem deren Vermögen. Portschys Ziel war die möglichst schnelle „freiwillige“ Auswanderung unter Zurücklassung sämtlicher Vermögenswerte.
Während anfangs nur wohlhabende Juden zur Ausreise gezwungen wurden, folgte bals die Ausweisung aller Juden. So wurde ein Auswanderungsbefehl allen ca. 3.800 burgenländischen Juden zugestellt.
Der letzte, der 1938 gestorben ist, war Samuel Gellis, ein arbeitsloser Schuhmachergeselle. Er beging Suizid, er hat sich am 11. Juni 1938 um Mitternacht im Alter von 54 Jahren erhängt.
Die letzte jüdische Hochzeit war am 13. Juni 1938 zwischen Hugo Soltesz und Charlotte Geiger. Ihre Schwester Ilona heiratete Dr. Alfons Barb, den späteren jüdischen Direktor des Landesmuseums Burgenland. Sein Bruder, Dr. Zoltan Soltesz, der 1934 im Gemeindewald von Kleinhöflein Selbstmord durch Vergiften verübte, ist, sowie seine Schwester Helene, am jüngeren jüdischen Friedhof von Eisenstadt begraben.
Die letzte jüdische Geburt in Eisenstadt war Gertrude Weiß am 5. August 1938, geboren im Spital der Barmherzigen Brüder, als Tochter vom Schuhmachermeister Hugo Weiß, 36 Jahre alt, und der Rosa Farkas, 38 Jahre alt.
Die letzten Eisenstädter Juden verließen im Oktober 1938 Eisenstadt. Kamen sie dem nicht nach, folgte die behördliche Abschiebung durch den Sicherheitsdienst der SS, dem SD und lokalen Gestapo-Stellen, meist Richtung Wien.
Am 1. November 1938 meldete der Leiter der Israelitischen Kultusgemeinde von Wien, Dr. Josef Löwenherz, „sämtliche Kultusgemeinden des Burgenlandes … mit einer jüdischen Bevölkerung am 12.3.1934 von 3.632 Seelen als aufgelöst.“
Die Immobilien im jüdischen Viertel wurden „arisiert“, nachdem bereits zuvor der jüdische Stadtteil Unterberg mit der Stadtgemeinde Eisenstadt amtlich wieder zusammengelegt worden war.
Die Inneneinrichtung der Synagoge wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, der so genannten „Reichskristallnacht“, völlig demoliert und die wertvollen Kultgeräte zerstört; danach legte man Feuer. Dieser Ausbruch blanken Judenhasses ist umso bemerkenswerter, als das Burgenland schon seit 1. November 1938 als „judenrein“ galt.
Das Synagogengrundstück wurde verkauft, das Gebäude anschließend ganz abgetragen. Die kleine Privatsynagoge Samson Wertheimers - später im Besitze der jüdischen Familie Wolf - blieb unzerstört; sie bildet heute einen Teil des Jüdischen Museums in Eisenstadt.
Ein Teil der Grabsteine des jüdischen Friedhofs wurde während der Kriegsjahre zertrümmert und als Straßensperren verwendet.
Von Wien aus konnte noch ein Teil der Eisenstädter Juden in der zweiten Hälfte des Jahres 1938 emigrieren; noch bis 1940 retteten sich zahlreiche Familien - nun illegal - ins Ausland. Diejenigen, die nicht ausreisen konnten, wurden in die „Lager des Ostens“, zB die Ghettos Litzmannstadt und Theresienstadt, die Gaskammern von Chelmno, deportiert und kamen zumeist ums Leben.
Nachweislich wurden ca. 110 Eisenstädter Juden Opfer des Holocaust; möglicherweise ist deren Anzahl noch deutlich höher.
Johannes Reiss, der Direktor des Österreichischen Jüdischen Museums, schätzt, dass ca. 30% der jüdischen Burgenländer zwischen 1938 und 1945 den Tod fanden.
Nach 1945 kamen wenige Juden zurück ins Burgenland, die meisten zogen bald wieder weg, hier blieben etwa ein Dutzend Juden ansässig, in Eisenstadt waren es zwei Familien, die noch Jahrzehnte nach 1945 hier lebten: die Familie Schiller und die Familie Trebitsch.
Reste des ehemaligen jüdischen Viertels sind bis heute erhalten geblieben.
Eine Gedenktafel im neu erbauten Gewerkschaftsgebäude erinnert mit der folgenden Inschrift an die Geschichte dieses Ortes:
In einem Großprojekt haben im Jahre 2015 Mitarbeiter des Jüdischen Museums Eisenstadt (fast) alle Gräber des mit 1.082 Grabsteinen (und -relikten) besetzten alten Friedhofsgeländes kartiert, die hebräischen Grabsteininschriften dokumentiert und ins Deutsche übersetzt. Nun sind die hier Begrabenen namentlich erfasst und können jeweils einem bestimmten Grab zugeordnet werden.
Im früheren Wertheimer-Haus in Eisenstadt (Ecke Unterbergstraße/Alexander-Wolf-Gasse) befindet sich das 1972 gegründete Jüdische Museum; es war das nach 1945 erste seiner Art in Österreich.
Juden in (Unterberg-) Eisenstadt:
1735 ca. 600 Juden,
1785 ca. 580 Juden,
1836 906 Juden,
1840 876 Juden,
1857 701 Juden,
1880 531 Juden,
1900 413 Juden,
1910 276 Juden,
1923 244 Juden,
1934 225 Juden,
1938 (Febr.) 446 Juden,
1938 (Okt.) keine,
1945 3 jüdische Familien,
1999 2 jüdische Familien.
Angaben aus: Hugo Gold (Hrg.), Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden des Burgenlandes, S. 134
Quelle:
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum
Johannes Reis, 100 Jahre, - und unerfüllte Hoffnungen
Prof. Meir Ayali, Meine Kindheit in der Judengasse in Eisenstadt
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